Die Schäferei
Nur in wenigen Landschaften haben sich heute noch, von ihrem Ursprung her „echte“ Zunftfeste mit ihrem hergebrachten Brauchtum erhalten; auch dies freilich insofern, als der Festcharakter, der ursprünglich nur Beiwerk und Ausklang der jährlichen Zunftversammlung war, nun zum Selbstzweck geworden ist, wie beispielsweise bei den Schäferfesten.
Die Feste der Schäfer waren eigentlich Zunftfeste, die aus den jährlichen Zunfttagen und Versammlungen hervorgegangen sind. Da die ehemaligen Schäferzünfte und Bruderschaften auch nach Aufhebung der Zünfte Im 19. Jahrhundert eine Brauchtumskontinuität bewahrt haben wie kein anderer Berufsstand, lässt sich an ihrem Beispiel am deutlichsten das Wesen der Zunftfeste darstellen.
Die Schäfer waren seit dem 15. Jahrhundert – mancherorts mit den Metzgern zusammen – in Zünften organisiert. In vielen Süddeutschen Städten wie z.B. Markgröningen, Heidenheim, Urach, Wildberg, Rothenburg, unser Bretten, aber auch in Thüringen, Hessen (Hungen) und am Oberrhein bestanden diese Zünfte, mit Privilegien und rechtlichen Befugnissen versehen, gleichberechtigt neben den Handwerkszünften. Im süddeutschen Raum wurden sie von Anfang an durch die Feudalherren, die in der Schäferei einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor sahen, mit großem Verständnis unterstützt. In Norddeutschland dagegen treffen wir sogar auf Verbote wie dieses aus Kurbrandenburg Im Jahr 1620:
„Ferner verbieten wir auch allen Hirten und Schäfern den Gebrauch der Gewehre, als Büchsen, Degen, türkische Säbel und Spitzbarden… wie auch… alle Verbündnis… und Innungen, deren sie sich an eines Theils Orten ganz frevelhafter, boshafter und strafbarer Weise unterwunden“,
Von ihrer Beziehung zur Viehzucht, die sie zwang, sich ähnlich den Abdeckern und Schindern des gefallenen Viehs anzunehmen, rührt es her, dass die Schäfer lange Zeit zu den sogenannten „unehrlichen Leuten“ gezählt wurden, zu denen man auch die Scharfrichter, Totengräber, Spielleute, Zöllner und Müller rechnete. Ein Gedicht aus der Zeit lautet dazu:
„Metzger, Schäfer und Schinder sind lauter G´schwisterkinder.“
So gab es trotz der äußerlichen Gleichstellung oft Schwierigkeiten, wenn ein Schäfersohn in eine Handwerkerzunft eintreten wollte. Im Glauben des Volkes war jeder, der mit einem gefallenen Tier zu tun hatte, als unrein und damit ehrlos verschrien. Ein, in eine Scherzfrage gekleidetes, Sprichwort aus dieser Zeit sagt zur Vervollständigung:
„Ein Rettich und ein Rueb, ein Müller und ein Dieb, ein Schäfer und ein Schinder, welches ist mehr oder minder?“
Auf der anderen Seite waren die naturverbundenen Schäfer aber sehr geschätzt wegen ihrer Kenntnis heilender Pflanzen, und sie wurden oft weither um Hilfe gegen Krankheiten bei Mensch und Tier ersucht. Da man ihnen auch die Beherrschung magischer Beschwörungsformeln, der sogenannten „weißen Magie“ nachsagte, betrachtete sie das einfache Volk mit einem mit Furcht gemischten Respekt.
Das ungebundene Leben und die relativ große Freiheit, die der Schäfer genoss, unterschieden ihn vom Bauern und Bürger, wobei zu der schlechten Beurteilung zweifellos der Verdacht beitrug, dass der Schäfer ab und zu ein Tier auf eigene Rechnung verkaufte, was ihm, ähnlich wie dem Müller, der eben so wenig zu kontrollieren war, nicht gerade den Ruf besonderer Ehrlichkeit eintrug. Dieser alte Sagenstoff mit der Thematik des Treueverhältnisses zum Dienstherrn hat zum Beispiel das Markgröninger Schauspiel „Vom Treuen Bartel“ zum Inhalt.
Einmal im Jahr trafen sich die Schäfer in einem größeren Ort, um hier ihre Zunftgeschäfte zu erledigen, Gesellen- und Meisterprüfungen abzuhalten, Händel zu schlichten und ihre Abgaben zu zahlen. Für den süddeutschen Raum bot sich die Stadt Markgröningen an, die in der Stauferzeit Trägerin der Reichsturmfahne war. Hier wurde auch die Zunftlade mit dem Zunftbrief sowie die Schäferfahne aufbewahrt. Diesen Versammlungstag, an dem vormittags die amtlichen Geschäfte erledigt wurden, krönte man mit einem sportlich-spielerischen Wettkampf, dem Schäferlauf, an den sich Im Laufe der Zeit noch andere Geschicklichkeitsproben und volkstümliche Spiele anschlossen; beendet wurde der Tag mit Lustbarkeit und Tanz. In Markgröningen hatten die Schäfer dabei von alters her das Recht, sich bei dem öffentlichen Tanz im Oberamteihof „jede der Zuschauerinnen ungeachtet ihres Standes zu holen“, wie es aus einer Beschreibung um 1780 hervorgeht.
Neben Markgröningen hatten in späterer Zeit Wildberg und Urach, sowie die Städte Heidenheim, Rothenburg und Bretten ihren Schäferlauf. Während in den drei erstgenannten das Schäferfest Krieg und Notzeiten überdauerte bzw. nach dem Krieg wiederauflebte, erhielten sich in Rothenburg und Bretten nur Reliktformen des Schäferbrauchtums, die Rahmen einer Brauchtumsvorführung dargeboten werden.
Rothenburg, das schon 1393 einen Schäfertag veranstaltet haben soll und ihn 1776 zum letzten Mal abhielt, führt seit 1911 im Rahmen einer folkloristischen Darbietung einen Schäfertanz vor, zu dem die „Rothenburger Schäfertanzgruppe“ in Trachten aus dem Biedermeier gekleidet ist. Hier ist die ursprünglich lokale Brauchtumskontinuität abgebrochen und unter kommerziellen Gesichtspunkten neu aufgenommen worden.
In Bretten fand der „Schäfersprung“ früher am Tage St. Laurentius (10. August) statt. Die heutige Schäfergruppe ist nun bereits seit mehreren Jahren bemüht, das geschichtliche Zunft und Lagerleben der damaligen Schäferei aufleben zu lassen. Dies geschieht im Speziellen am Peter und Paul Fest. Das jährliche Schäfertreffen mit dem Schäfersprung gilt hierbei als eine der drei Säulen des berühmten Festes.
Das Schafehüten von damals bis heute
Solange sich in Europa das ackerbaulich genutzte Land der Dörfer noch nicht im Privatbesitz der Bauern befand und neben dem jährlich wechselnden Brachland auch noch großflächige Hutungen bestanden, wurden die Schafherden in der Vegetationszeit auf diesen Flächen ernährt.
Die Schafhirten sammelten jeden Morgen mit Gebrüll oder Hornsignalen ihre Schützlinge auf dem Gutshof oder im Dorf die sie, hinter der Herde gehend, mit den Hirtenhunden über breite Graslandstreifen, die sogenannten Triften, auf die weitläufigen Hutflächen trieben. Nachts kamen die Herden zum Schutz gegen zwei- und vierbeinige Räuber in Gebieten mit nicht zu großen Entfernungen zu den Weidegründen in Pferche am Rande der Siedlungen oder in die Ställe der Besitzer.

Mit nachlassendem Gemeinschaftssinn und Ausbreitung der Koppelzäune, bei gleichzeitig propagiertem Umbruch des Grünlandes, verschwanden diese uralten Haltungsformen, die Hirten und die dazugehörigen Hirtenhunde aus den meisten Dörfern. Nur in den Hochgebirgen Europas blieb die sommerliche Almwirtschaft in reduzierter und abgewandelter Form für Schafe erhalten. Die zuvor genannten Haustierpferche, wie sie, mit zunehmender Sicherheit, dann für Schafe als Nachtstall auf den zu düngenden, oft ortsfernen und schwer erreichbaren Feldern Eingang fanden, bewachten die am Schlafkarren des Hirten angeketteten Hunde.
Bei unseren heutigen Wanderschäfern hat der Wohnwagen den Schlafkarren und das Perlonnetz den Holzpferch abgelöst. Dem Schäfer wurde das Essen gebracht, oder er ging zu den Mahlzeiten frühmorgens und abends ins Dorf und trieb die Herde erst zur Winteraufstallung wieder zurück. Daneben bestand schon immer der Herdenzug von den Winterweiden in Flusstälern und wärmeren Ebenen zu den Sommerweiden im Gebirge. Einige Wanderschäfer Süddeutschlands haben sich trotz zunehmender Erschwernisse noch nicht davon abbringen lassen.
Durch erhebliche Zunahme der Bevölkerung musste der Ackerbau vom 18. Jahrhundert an intensiviert werden. Zugleich wurde durch die Bauernbefreiung die Zahl der Privatbesitzer vermehrt und das Erbrecht bewirkte durch Realteilung eine Verkleinerung der Felder. Je mehr das Brachland und Teile der Hutungen mit den neu aufkommenden Nahrungs- und Futterpflanzen genutzt wurden, desto häufiger mussten die Schäfer ihre Herden auf Feldwegen und schmaler werdenden, abgeernteten oder mit Schaffutter eingesäten Feldern hüten.
Mit Zunahme des engen Gehüts und der Verkehrswege in weiten Teilen Europas begann für die Schäfer die Notwendigkeit zur Selektion von wendigen, intelligenten Hütehunden. Hiervon berichtete bereits Buffon 1772. Da die breiten Vorgewende der Äcker entlang der Feldwege, die eine Zelt lang als Ersatz für bisherige Triften zum Trieb der Herden nutzbar waren, immer mehr zur Ausweitung des Hauptfruchtanbaues herangezogen wurden, mussten die Schafherden auf den schmalen grasbewachsenen Feldwegen in die Länge gezogen werden. Dies war leichter zu erreichen, wenn der Schäfer an der Spitze der Herde ging. Seine Hütehunde sorgten dahinter zu beiden Seiten des Weges dafür, dass die angebauten Feldfrüchte ungeschoren blieben, und an Wegbiegungen oder Kreuzungen bzw. beim Einschwenken auf Felder oder an Brücken nur die Fahrspurbreite begangen wurde und kein Schaf zurückblieb. Eine Herdenlänge von oft mehr als 100 Metern fordert vom Hütehund eine ganze Portion Selbständigkeit und gute Nerven. Bei windigem Wetter ist eine Verständigung mit dem agierenden Hund dann nur noch über Sichtzeichen möglich und verlangt von ihm vermehrte Aufmerksamkeit in zwei Richtungen.
Schäfersprüche und Redewendungen
So manch einer mag sich schon einmal mit verschiedenen Sprüchen auseinandergesetzt haben, die in Verbindung zu einer ganz bestimmten Sache stehen und für ihn ungeklärt blieben; so auch im Schäferleben, daher ein paar Erklärungen:
„Sündenbock sein“;
für einen anderen unschuldig leiden oder bestraft werden; die Schuld eines anderen auf sich nehmen; der Prügelknabe sein.
Das Bild ist dem Alten Testament entlehnt. In biblischer Zeit entsühnte am Versöhnungstage (hebräisch Jom Kippur) der Hohepriester das Heiligtum, das Volk und sich selbst. Dabei wurden ihm zwei Böcke übergeben, von denen der eine als Schlachtopfer für den Herrn bestimmt war, während dem anderen die Sünden auferlegt wurden (Sündenbock).
„Das schwarze Schaf sein“;
der von einem bestimmten Personenkreis wegen seiner extravaganten oder gar unsittlichen Haltung abstechende Mensch.
Vom 1. Mose 30,32: „Ich will heute durch alle deine Herden gehen und aussondern… alle schwarzen Schafe.“
„Einen auf die Schippe nehmen“;
auf den Arm nehmen; ihn veralbern, foppen, sich über ihn lustig machen.
Man behandelt den Verulkten wie ein Häuflein Sand, das mit der Schippe aufgehoben und verstreut wird.
„Sein Schäfchen ins Trockene bringen“;
sich einen Vorteil wahren; seinen Gewinn in der Tasche haben.
Regen schadet den Schafen überhaupt nicht, denn ihr Vlies ist fettig und wasserabweisend. Jedoch verursachte der in sumpfigen Gegenden vorkommende Leberegel mit der sogenannten Egelseuche häufig ein Massensterben unter dem Vieh, namentlich bei Schafen. Die Infektionsgefahr konnte fast ausgeschlossen werden, indem man die Schafe nicht mehr an sumpfigen Stellen oder am Wasser weiden ließ, sie also „ins Trockene brachte“. Das Verständnis für den Ursprung der Redensart wurde mit der Einführung der Baumwolle verschüttet, als die Schafhaltung zum großen Teil zum Erliegen kam und als die moderne Veterinärmedizin Mittel gegen die Egelseuche fand.
…und ganz zum Schluss noch ein paar der vielen Schäferweisheiten:
Schäfersleut‘ hat Gott erschaffen,
Schäfersleut‘ hat Gott gemacht,
Und wer Schäfersleut‘ veracht,
den holt der Teufel bei der Nacht!
Sei der April auch noch so gut, er schickt dem Schäfer Schnee auf den Hut.
Man muss das Schäflein scheren, wenn es Wolle hat.
Es ist ein dummes Schaf, das dem Wolf beichtet.
Wenn der Hirte den Weg verfehlt, dann kommen die Schafe nicht ans Ziel.
Regenbogen am Morgen macht dem Schäfer Sorgen.